(Quelle: Kauer/DJV)

Still im Waldradau

6. Mai 2017 (Schumacher/privat) Berlin

Katrin Schumacher war gemeinsam mit Anna Martinsohn beim Ansitz und erfährt dabei was Stille bedeutet und wie laut ein leises Rascheln sein kann.

Gemeinsam Jagd erleben heißt auch gemeinsam still Füchse beobachten
Gemeinsam Jagd erleben heißt auch gemeinsam still Füchse beobachten (Quelle: Schumacher/privat)

Keine Cracker und keine Kohlrabi, schreibt mir Anna. Kein knisterndes Butterbrotpapier. Und am besten Wolle. Grün, braun oder schwarz. Dunkelblau? Ganz schlecht. Blau ist das Rot des Waldes! Blau sehen die Tiere, das Spektrum kurz vorm Ultraviolett hat Signalwirkung auf sie. Eine Schirmmütze oder ein Hut seien auch nicht schlecht - gegen die tief stehende Sonne, ja, und es lösen sich auch die Gesichtskonturen auf im Schatten. Hoffen auf Wind aus West oder Südwest, ungut wäre ein Ostwind. Wie man die Windrichtung misst? Der Raucher unter den Jägern hat es leicht. Der Nichtraucher im Zweifel Seifenblasen.

Mein erstes professionelles Mal auf dem Ansitz. Mir war nicht klar, dass sich nicht nur das Tier vorm Menschen versteckt, sondern auch der Mensch sich in dieser Konsequenz vorm Tier.  Wie leise der Gang über die Wiese geschehen muss. Wie leise der Hochsitz hinaufgestiegen. In langsamen Bewegungen werden die Utensilien verstreut. Hier die Brotbüchse, da das Fernglas. In der linken Ecke lehnt Annas Gewehr.  Die erste Stunde, sagt Anna, ist Lesezeit. Man muss das Rascheln vergessen machen, das man mitgebracht hat beim Erklimmen, das leise Lesen in Buch oder Telefon hilft. Erst wenn man sich in der Landschaft vergessen gemacht hat, kann in der Umgebung gelesen werden. 

Wir glasen den Waldrand ab und sehen einen Fuchs, sehen ein Reh. Die Zeit vergeht flach atmend. Der Fuchs tanzt, maust, schnürt im nicht ganz hohen Gras. Das Reh löst sich auf. Ein zweiter Fuchs. Ein dritter. Er schleppt etwas mit sich. Einen Hasen? Nein. Den Lauf eines Rehkitzes. Ein Zeitvertreib beginnt. Beute wird versteckt, vergraben, gefunden. Die Wiese wird zum Spielfeld. Ein Fuchs trinkt, ein leises, stakkatoartig schlürfendes Geräusch direkt unter dem Hochsitz, an dem der Wassergraben entlang läuft. Wie ein Hund, denke ich, während ich ihn in diesem friedlichen Moment beobachte. Ein paar Meter nur neben mir, ich kann seine kleine Zunge sehen.

Später werden wir von einer Horde Waschbären erschreckt, die mit Krawall die Wiese entert. Anna legt an, ich stecke mir die Finger in die Ohren, doch es ist bereits zu dunkel. Fünf verschwommene Knäuel rasen durch das Gras. Zu diffus, um ihre Leben zu treffen. Anna würde nie schießen in einer solch unklaren Situation. Nichts ist verantwortungsloser als ein Tier bei schlechter Sicht anzuschießen. Tierschutzgesetz, Jägerpflicht: ein verletztes Tier dürfte man niemals sich selbst und seinem Schicksal im Wald überlassen. Wir blicken still in die Dämmerung und hören den leiser werdenden Waschbärenradau.
Leiser Radau. Nach nur drei Stunden sind die Sinne also schon so geschärft, dass ein paar Waschbären zur Sensation werden. Wir suchen unsere Dinge zusammen und gehen durch den Abendtau. Rascheln wie die Bären. Und werden beobachtet von den Füchsen. Das lautlose Sitzen. Die anschwellenden Geräusche des Waldes. Die Stille ohne Schuss, denke ich, ist wahrlich keine Stille. Katrin Schumacher