(Quelle: Kauer/DJV)

Online-Forum für Isegrim

1. September 2014 (djv) Berlin

Neue Wolfsplattform: Im Interview spricht der DJV mit dem Wissenschaftler Ulrich Wotschikowsky über seine neue Internetseite und seine Erkenntnisse zum Wolf in Deutschland

Liegender Wolf (Quelle: Rolfes/DJV)

Braucht der Wolf in Deutschland ein Forum im Internet? Ulrich Wotschikowsky meint: Ja!  Der Forstwirt, Wissenschaftler und Journalist bündelt auf seiner kürzlich online gegangenen Internetseite „Wolfsite – Forum Isegrim“ aktuelle Meldungen, Fachwissen und räumt gleichzeitig mit Mythen auf. Hinter www.woelfeindeutschland.de verbirgt sich ein Blog – also ein online geführtes Tagebuch – auf dem der Betreiber (der sog. „Blogger“) Meldungen protokolliert und eigene Gedanken festhält. Im Interview mit dem DJV spricht Wotschikowsky über seinen Antrieb für diese Seite und wie er die Lage des Wolfes in Deutschland einschätzt.

DJV: Soeben wurde die Seite woelfeindeutschland.de freigeschaltet. Was hat Sie dazu bewogen, diese zu entwerfen? Und was ist das Besondere an diesem Internet-Auftritt?

Ulrich Wotschikowsky: Was wir über Wölfe zu lesen bekommen, ist entweder mit Vorurteilen beladen oder naiv wolfsfreundlich. Die kritische, sachkundige Mitte kommt kaum vor. Außerdem fehlt es auf beiden Seiten an Verständnis und Toleranz für die Sichtweise des jeweils anderen. Wölfe haben es nicht verdient, dass sie verhätschelt oder verteufelt werden. „Wolfsite“ (www.woelfeindeutschland.de) sucht die Mitte und steht für Sachkunde, Aktualität und Offenheit.

Wann ist Ihrer Meinung nach der für den Wolf in der FFH-Richtlinie geforderte günstige Erhaltungszustand in Deutschland erreicht? Oder müssen wir Populationen vielleicht grenzübergreifend betrachten?

Wir denken in Populationen, in unserem Fall also an die deutsch-westpolnische Flachlandpopulation, die beiderseits der Grenze zu Hause ist. Nach den Vorstellungen der EU ist der günstige Erhaltungszustand einer Population mit 1.000 erwachsenen Tieren erreicht. Nach meiner eigenen Schätzung haben wir zwei Drittel dieser erwachsenen in Rudeln (Elterntiere) und ein Drittel in territorialen Paaren oder als Einzelwölfe. Das ergibt für 1.000 erwachsene etwa 333 Rudel, macht 666 Tiere, plus 333 weitere, die als Einzelwölfe und in territorialen Paaren leben. Diese Aufteilung zeigt sich ungefähr in den Monitoringergebnissen: ebenso viele einzelne Wölfe wie Rudel. Wenn sich ein Rudel aus zwei erwachsenen, vier Welpen und zwei Jährlingen zusammensetzt, kommen wir auf etwa 3.000 Wölfe insgesamt. Wenn sich die Wölfe fifty-fifty auf beide Länder verteilen, wären das also etwa 166 Rudel oder 1.500 Tiere in Deutschland. 

Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung der Wolfspopulation in Deutschland ein?

Die Wölfe treffen bei ihrer Ausbreitung nach Westen und Süden auf ein zunehmend dichteres Straßennetz und eine dichtere Besiedelung. Damit werden Verkehrsverluste überproportional zunehmen. Die ungestörte Welpenaufzucht könnte ebenfalls schwieriger werden. Und auch die Jägerdichte ist im Westen und Süden höher. Das bedeutet für die Wölfe eine höhere Begegnungswahrscheinlichkeit mit Jägern, die Wölfe nicht dulden. All das zusammen genommen wird die Zunahme und Ausbreitung der Wölfe verzögern. Trotzdem – es werden mehr.

Wir leben in einer vom Menschen stark geprägten Kulturlandschaft. Was charakterisiert Ihrer Meinung nach eine „verträgliche Wolfsdichte“?

Wir werden niemals eine Wolfsdichte haben, die für alle Interessensgruppen „verträglich“ ist. Für manche ist ein einziger Wolf schon zu viel, andere können gar nicht genug Wölfe haben. „Verträglich“ wäre also der größtmögliche Konsens zwischen allen Gruppen. Für diesen Konsens müssen alle – wirklich alle – Zugeständnisse machen. Mit Zahlen lässt sich diese Frage nicht beantworten.

Über das konfliktfreie Zusammenleben mit dem Wolf gibt es unterschiedliche Vorstellungen. Diese reichen von ungehinderter Ausbreitung über Zonierung in Wolfsgebiete und wolfsfreie Areale sowie Welpenfang bis hin zur Regulierung durch Abschuss. Wie stehen Sie dazu?

Abgesehen davon, dass die Rechtslage derzeit alle Eingriffe zur Populationssteuerung der Wölfe ausschließt: Ich sehe keinen Grund, warum wir die Ausbreitung der Wölfe hindern sollten. Für eine Ausweisung von „wolfsfreien“ Gebieten kann ich mich ebenfalls nicht erwärmen. Welche Gebiete soll man denn wolfsfrei halten, und welchen soll man andererseits die „Bürde“ von Wölfen auferlegen? Das wäre genauso fragwürdig wie die Rotwildgebietsregelung in einigen Bundesländern. Eher kann ich mir vorstellen, dass man in einem bestimmten Gebiet die Dichte senken möchte. Auch das muss man aber erstmal begründen. Dichteabsenkung hilft den Weidetierhaltern nicht, allenfalls den Jägern. Aber bei den gegenwärtigen Schalenwilddichten begibt man sich da auf dünnes Eis.

Bejagung kann leicht die Zerstörung von Rudelstrukturen zur Folge haben, nämlich wenn man die Elterntiere schießt. Damit schafft man Raum für zuwandernde Wölfe. Man würde also den Druck auf die Schalenwildbestände gar nicht mindern, vielleicht sogar erhöhen, weil Einzelwölfe ihre Beute nicht so effizient nutzen wie Rudel. Zudem verlangt die EU ausdrücklich, dass Eingriffe in FFH-Arten „selektiv“ erfolgen müssen. Das ist bei Wölfen nur im Sommer möglich: man könnte Welpen eliminieren, z. B. an der Wurfhöhle – wenn man die kennt. Es wäre eine tierschutzgerechte und effiziente Methode. Denn damit bliebe das Elternpaar erhalten, und das hält sein Territorium von zuwandernden Wölfen frei. Im Yukon ist das nachgewiesen worden. Auf diese Weise könnte in einem Gebiet von der Größe eines Rudelterritoriums (rund 250 km²) die Wolfsdichte beträchtlich gesenkt werden. Die Jägerschaft wird vom Welpen fangen allerdings nicht begeistert sein. Eine selektive Bejagung im Winterhalbjahr, wie sich viele das vorstellen, ist nicht möglich; denn schon ab Oktober lässt sich ein Welpe unter jagdlichen Bedingungen nicht von einem Altwolf unterscheiden. Porträt Ulrich Wotschikowsky

Zur Person: Ulrich Wotschikowsky, Jahrgang 1940, hat Forstwissenschaft studiert. Er war vier Jahre lang im Nationalpark Bayerischer Wald für das Schalenwildmanagement und die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. 17 Jahre war er Projektleiter bei der Wildbiologischen Gesellschaft München, hat zehn Jahre Freilandforschung an Rehen betrieben, zwei Monate in einem Wolfsforschungsprojekt im Yukon (USA) mitgearbeitet, ein Leitbild für das Rotwildmanagement in Deutschland entwickelt, das Buch „Wolves in the Yukon“ von Bob Hayes in Deutschland produziert und ins Deutsche übersetzt, eine Recherche zum Eingriff der Wölfe in den Wildbestand von Sachsen durchgeführt, bei den Wolfmanagementplänen von Sachsen, Brandenburg und Bayern mitgearbeitet und ist Mitglied in der Large Carnivore Initiative for Europe. Seit mehr als 50 Jahren ist er Jäger und Hundeführer (Wachtel).