
"Wesentlich sind schnelles Erkennen und Eingreifen beim Geflügel"
DJV: Wie gefährlich ist das Virus für den Menschen – gerade in Hinblick auf Kontakt mit Geflügel und Fleischverzehr?
Professor Martin Beer: Für die allgemeine Bevölkerung besteht ein geringes Infektionsrisiko, denn für eine Infektion des Menschen ist ein intensiver Kontakt mit infiziertem Geflügel oder infizierten Wildvögeln nötig. Daher sind umfangreiche Schutzmaßnahmen beim Umgang mit potenziell infiziertem Geflügel, Wildvögeln und Säugetieren erforderlich. So müssen Personen, die betroffene Geflügelhaltungen räumen oder tote Wildvögel bergen, geeignete Schutzkleidung tragen. Hierzu gehören neben einem Schutzanzug auch Einmalhandschuhe, Schutzbrille und eine FFP3-Atemschutzmaske sowie desinfizierbares Schuhwerk. Aus betroffenen Geflügelhaltungen gelangen keine Erzeugnisse in die Lebensmittelkette.
Wie weit verbreitet ist das Virus inzwischen in Deutschland und welche Tiere sind hauptsächlich betroffen?
Es gibt Meldungen aus allen Bundesländern. Bei gehaltenen Vögeln sind seit dem 1. September in über 70 Ausbrüchen Legehennen, Masthühner, Puten, Enten und Gänse betroffen – aus Haltungen jeglicher Größe. Bei Wildvögeln fallen vor allem Kraniche auf, die den ganz überwiegenden Teil (etwa 80 %) der rund 600 Fälle beziehungsweise Standorte ausmachen. Hinter diesen Fällen können eine ganze Reihe toter Tiere stehen. Neben den Kranichen gibt es zudem positive Befunde für Wildgänse, Schwäne, Graureiher, Greifvögel, Möwen, Wildenten und einen Regenpfeifer.
Welche Tiere können das Virus verbreiten und welche Rolle spielt der Mensch?
Das Virus zirkuliert derzeit insbesondere bei wilden Wasservögeln. In dieser Saison wurden bisher zwar weniger tote infizierte Wildenten und -gänse berichtet, aber dennoch ist das Virus bei diesen Arten weiterhin verbreitet. Und dies auch bei gesunden Wildvögeln, wie Untersuchungen aus Italien, den Niederlanden und Deutschland zeigen – etwa H5N1-positive, erlegte Stockenten. Möglicherweise haben insbesondere Wasservögel schon eine gewisse Herdenimmunität gegen H5 entwickelt. Das könnte erklären, warum sie trotz aktiver Infektion seltener erkranken und das Virus weiterverbreiten können. Der Mensch spielt eine Rolle beim indirekten Eintrag des Virus in Geflügelbestände. Über kontaminierte Gerätschaften, kontaminiertes Schuhwerk oder auch Futter (wenn Wildvögel Zugang hatten) kann das Virus auch in geschlossene Ställe gelangen.
Welche Hygienemaßnahmen sind für Jäger wichtig, um eine Verbreitung des Virus zu verhindern?
Wildvögel sollten besonders in dieser Phase nicht beunruhigt oder aufgeschreckt werden. Wasservogeljagden sollten möglichst nicht durchgeführt werden. Jäger, die gleichzeitig Geflügelhalter sind, müssen strikt die Hygieneregeln beachten und Kleidung inklusive Gummistiefel, die im Geflügelbereich getragen wird, strikt von der Jagdkleidung trennen. Jäger sollten nicht auf Eigeninitiative erkrankte oder tote Vögel bergen, sondern sich mit den Veterinärbehörden absprechen und gegebenenfalls um Unterstützung bitten. Das Bergen erfordert allerdings Sachkenntnis und geeignete Schutzkleidung, um sich selbst vor einer Infektion zu schützen.
Stichwort Vogelzug: Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung des Seuchengeschehens ein?
Neben Kranichen sind weitere Wildvogelarten von der Infektion betroffen. Auch wenn die Mortalität bei diesen derzeit geringer ist, können sie zu einer fortlaufenden Zirkulation des Virus unter Wildvögeln beitragen. Unabhängig vom Vogelzug könnte so ein erhöhter Infektionsdruck über den Winter aus dem Wildvogelbereich heraus anhalten. Ob dies zu weiteren Ausbrüchen in Geflügelhaltungen führt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Wesentliche Elemente sind das schnelle Erkennen und Eingreifen beim Geflügel, das in der Vergangenheit eine weitläufige Zirkulation von Geflügelpestviren in deutschen Geflügelbeständen erfolgreich verhindert hat. Im Wildvogelbereich bestehen jedoch kaum Möglichkeiten, die Ausbreitung und das dortige Tierleid zu vermindern.
