(Quelle: Kauer/DJV)

Ein (er)schreckend schöner Ansitz

1. Januar 2018 (Giovannini/privat) Berlin

'Warte! Ich mache die Tür zu!' Etwas verwundert trete ich zurück und lasse den Herrn in Grün die Autotür schließen.

#jaeben18 (Quelle: Giovannini/privat)

'Warte! Ich mache die Tür zu!' Etwas verwundert trete ich zurück und lasse den Herrn in Grün die Autotür schließen. Eigentlich dachte ich ja immer, man bekommt als Frau die Autotür höflich geöffnet… Umso interessierter beobachte ich Jannick dabei, wie er nahezu lautlos die Autotür ins Schloss drückt. Erste Lektion gelernt. Gleich darauf folgt auch schon die Lektion 'Pirschen für Dummys', während wir uns langsam Richtung Kanzel aufmachen. Hintereinander gehen, um die Silhouette möglichst klein zu halten. Das bekomme ich noch hin, aber wie schafft der vor mir es, die Füße so lautlos aufzusetzen? Hochkonzentriert versuche ich möglichst keine Äste oder altes Laub zu treffen und starre auf den Boden vor mir. Das führt fast dazu, dass ich in den Jägersmann vor mir pralle, der ein Rascheln in einer Dickung rechts von uns wahrgenommen hat und sofort stehen bleibt. Gespannt blicke ich in die Richtung aus der das Geräusch gekommen war und lausche. 'Rehwild', sagt Jannick leise und setzt sich wieder in Bewegung, dabei erklärt er mir, wie er zu dem Schluss kommt, dass das Rascheln von einem Reh stammt und nicht etwa von einem Fuchs.

Angekommen an der Kanzel beziehen wir unsere Plätze für die nächsten Stunden. Die Dämmerung setzt langsam ein, trotzdem ist es noch verdammt heiß. Sommer 2018, ich war dabei, in einer mit Decken und Kissen ausgelegten Kanzel auf die wahrscheinlich den ganzen Tag die Sonne geschienen hat. Während ich noch überlege, welcher Aufguss sich jetzt wohl gut machen würde, reicht Jannick mir ein Fernglas und beginnt sich dann selbst einzurichten. Er zeigt mir, was er sonst alles mit zum Ansitz nimmt und erklärt mir sein mitgebrachtes Lock-Set. Hasenklage, Blatter… Zu meinem Glück befinden wir uns in der Blattzeit. Vielleicht bietet sich also die Gelegenheit einen Bock anzublatten.

Mit dem Fernglas beobachte ich die Umgebung, der Waidmann erklärt und erzählt. Dann, wieder ein rascheln aus der Dickung. Ich halte die Luft an, wir schauen gebannt in die Abenddämmerung. Dann tauchen die Verursacher der Geräusche auf. Eine Ricke dicht gefolgt von einem liebestollen Bock. Jannick lächelt und erzählt mir, was er den Tieren so alles ansieht. Ungefähres Alter, Zustand und auch wie das Treiben, also die Paarung beim Rehwild, abläuft. Interessiert höre ich zu und beobachte das Liebespaar vor uns, bis es in der nächsten Dickung verschwindet.

Nach dieser Begegnung bleibt es leider ruhig. Das Rascheln der Mäuse lässt einen zwar immer mal wieder hochschrecken und man fängt an sich zu fragen, ob der Schatten da hinten eben auch schon da war, aber Wild lässt sich nicht mehr blicken. Also greift Jannick zur Hasenklagen und will mir wenigstens noch den Gebrauch dieser zeigen, bevor es zu dunkel wird. Die Strophe, die er zaubert, erinnert zwar nicht an Beethovens 9., ist aber immer noch besser als das, was sich momentan in den Top 10 der Charts tummelt. 

Wir haben gar nicht damit gerechnet, aber auf die Klage raschelt es doch tatsächlich erneut und der Bock von vorhin springt aus der Dickung. Dicht gefolgt von seiner Ricke. Beide schauen verständnislos in unsere Richtung, ehe sie endgültig verschwinden. Hoffentlich haben wir da nicht die nächste Generation Rehwild verhindert.

Am nächsten Morgen machen wir uns erneut auf. Dieses Mal eine andere Kanzel, gefühlt an einer Wildautobahn gelegen. Mehr Anblick hätte man wohl nicht haben können. In der Ferne wieder ein Bock mit Ricke, ein Fuchs, ein Hase der es sich direkt unter der Kanzel gemütlich macht. Sogar eine Fasanenhenne mit Küken können wir beobachten. Kurz bevor wir uns auf den Heimweg machen, taucht noch ein Schmalreh auf (ich bin nach wie vor fasziniert, wie schnell meine Begleitung die Tiere bestimmen und unterscheiden kann. Einen Fuchs vom Reh unterscheiden, das schaffe ich auch. Aber die Rehe untereinander... Da hört es bei Ricke und Bock auf. Und das auch nur, wenn er ein Geweih hat). Das Reh will relativ schnell wieder verschwinden, doch um noch ein paar nette Aufnahme von ihm zu bekommen greift Jannick wieder in seine Trickkiste. Dieses Mal ahmt er ohne Hilfsmittel das Schrecken nach und hat damit vollen Erfolg. Ich muss mich wirklich beherrschen, um nicht laut loszulachen und das Reh schaut tatsächlich noch einige Momente abschätzig in unsere Richtung, ehe es im Wald verschwindet. 

Ich bin unglaublich froh darüber, dass ich durch das Event 'Wild auf Wein' die Gelegenheit hatte gleich zwei Mal einen Jäger in meinem Alter auf den Ansitz zu begleiten. Auch wenn der Schuss und Jagderfolg ausblieb, habe ich viel gesehen und gelernt. Vor allem, dass man sehr genau auswählt, was man schießt und was nicht. Das Event hat aber abgesehen von den gemeinsamen Ansitzen noch viele weitere Punkte geboten, um die Jagd näher kennen zu lernen. Ein Zerwirkseminar und gemeinsames Kochen, abends bei Wein zusammensitzen und Geschichten erzählen. Ich habe viele interessante und nette Menschen kennen lernen können, die vor allem eines gemeinsam haben: Die Liebe zur Natur und damit verbunden die Leidenschaft zu nachhaltigen, artgerechten und regionalen Lebensmitteln! Die Vorurteile gegenüber den schießwütigen Jägern kann ich nun nur noch weniger verstehen.

Der Entschluss selbst den Jagdschein zu machen steht nach diesen Tagen noch fester als zuvor und ich hoffe, dass ich in Zukunft ähnlich sicher und sehend in Wald und Feld unterwegs bin. Immer wenn ich jetzt irgendwo ein Reh schrecken höre, muss ich lächeln und frage mich, ob es vielleicht ein Jäger ist, der einem Nicht-Jäger ein unvergessliches Erlebnis beschert. Laura Giovannini