Deutscher Jagdverband Verbandsbericht 2015/16 - page 75

75
M
it der modernen Jagd ist es wie mit dem Kli-
mawandel, der Kernphysik oder der Ent-
schlüsselung unseres Erbgutes: Es ist kompliziert.
Wenn nicht jagende Journalisten über die Jagd
schreiben, ist es fast unmöglich, fehlerfrei aus der
Nummer herauszukommen.
Im Herbst 2015 fragte das ZDF-Wissensformat
„Quarks & Co“: „Brauchen wir noch Jäger?“ Eine
durchaus relevante Frage, denn schließlich könnte
man heutzutage aus Ernährungssicht auf das
Fleisch von Reh und Wildschwein gut verzichten.
Dem Landwirt, der auf ein durch Wildschweine
verwüstetes Maisfeld blickt, mag diese Frage be-
fremdlich vorkommen. Aber er bleibt im Beitrag
unerwähnt. Der Berufspendler, der so unfreiwillig
wie regelmäßig Wildunfälle bezeugt, mag die Stirn
runzeln. Schließlich hat sich das Verkehrsaufkom-
men in Deutschland in 30 Jahren vervierfacht. Im
selben Zeitraum ist die Zahl der Wildunfälle um
das Fünffache gestiegen. Auch diese Problematik
blieb im TV-Beitrag unerwähnt.
Stattdessen reisten die Redakteure zur Beant-
wortung der Frage ins Jahr 1971 und repetierten
„Sterns Stunde“, verteilten Hiebe auf einen alter-
tümlichen Trophäenkult, bohrten im Reichsjagdge-
setz und inszenierten im Gleichschritt marschie-
rende Wildschweine mit Hitlergruß. Offenbar war
Zeitdruck ein Problem: Warum aufwendig recher-
chieren, wenn man auch auf Bewährtes aus der
Redaktionsschublade zurückgreifen kann? Kom-
mentare des Moderators waren sogar sachlich
falsch, was der Sender umgehend korrigierte.
UntermStrichwar die Sendung für beide Seiten–
Journalisten und Jäger – bedauerlich. Hätte man
sich die Zeit genommen, für die Legitimation der
Jagd im Heute zu recherchieren, es wäre eine völ-
lig andere Sendung geworden. Genau da gilt es,
unsere Presse- und Öffentlichkeitsarbeit kritisch zu
hinterfragen: Kommunizierenwir akuteHerausfor-
derungen genug, oder wärmenwir nur alte Kamel-
len auf? Fordern wir politisch die richtigen Schrit-
te, oder haltenwir an Bewährtem fest? Liefernwir
schlüssige Argumentationenmit klaren Fakten?
Es gilt: Lassenwir uns nicht entmutigen! Wir ha-
ben kompetente Ansprechpartner in Sachen Wild,
Jagd und Natur in der bundesdeutschen Fläche wie
kein anderer Naturschutzverband – mit guten Ge-
schichten. Erzählen wir sie verständlich, und un-
terfüttern wir sie mit Fakten! „Mit der Zeit entwi-
ckelt man sich als Journalist mit einem Thema. Je
mehr Wissen man hat, desto differenzierter wird
die Meinung“, brachte es eine Teilnehmerin von
„WissensWerte“, der Fachtagung für Wissen-
schaftsjournalisten, im Herbst 2015 in Bremen auf
den Punkt. Es geht um Zeit. Zeit braucht jede gute
Recherche, jede gute Geschichte, jede gute Bezie-
hung.
Bleibenwir ansprechbar für alle Journalisten, die
sich die Zeit nehmen und uns zuhören. Bleibenwir
authentisch.
„GuteRecherche
brauchtZeit“
ÜberdieBeziehungvon Jagdund Journalismus
EinKommentarvonAnnaMartinsohn
„Brauchenwirnoch Jäger?“könntemorgen„Brau-
chenwirnoch Journalisten?“heißen.Auch fürdiese
AntwortbrauchtesZeit.
Jäger
Journalisten
Geburtsdatum:
2,6Millionen Jahrev.Chr.
Geburtsort:
wahrscheinlich irgendwo inAfrika
Werte:
bodenständig, bewahrend, archaisch
Reputation:
Sheriffder Kulturlandschaft
Geburtsdatum:
im1. Jahrhundert v.Chr. (inEuropa)
Geburtsort:
Italien (DieActadiurna, lat. für „Tagesgeschehen“,
gilt alserstes regelmäßigesNachrichtenbulletinunterGaius
JuliusCaesar.)
Werte:
wissensdurstig, gerechtigkeitsliebend, eigensinnig
Reputation:
Streber derNation
Status: Es istkompliziert.
PRESSE-UNDÖFFENTLICHKEITSARBEIT
1...,65,66,67,68,69,70,71,72,73,74 76,77,78,79,80,81,82,83,84,85,...88
Powered by FlippingBook