(Quelle: Kauer/DJV)

Bestandsexplosion bei einzelnen Wildarten ist kein deutsches Phänomen

7. November 2012 (djv) Berlin

Interview des DJV mit Dr. Frank Tottewitz (vTI, Eberswalde)

Dr. Frank Tottewitz (vTI, Eberswalde)
Dr. Frank Tottewitz (vTI, Eberswalde) (Quelle: vTI, Eberswalde)

1. Steigende Jagdstrecken beim Schalenwild in Deutschland führen regelmäßig zu Diskussionen über steigende Wildbestände. Wie sieht es in anderen europäischen Ländern aus?

Deutschland war und ist bekannt für seinen Wildreichtum. Bereits 1970, das Jahr, ab dem es für die meisten europäischen Länder Jagdstreckenangaben gibt, lagen die Abschüsse insbesondere bei Rot-, Reh- und Schwarzwild über denen vergleichbarer Länder. Wird, unabhängig dieser Sachlage, dieser Zeitpunkt aber als Ausgangsbasis für die Beurteilung der Entwicklung von Schalenwildstrecken in den letzten vierzig Jahren genommen, dann zeigt sich, dass Deutschland im zentraleuropäischen Raum kein Außenseiter ist. Die Strecken beim Schalenwild sind ohne Ausnahme in allen Ländern angestiegen. Besonders drastisch zeigt sich das beim Schwarzwild, aber auch in verschiedenen Ländern beim Rot- und Rehwild. Dieser Trend zeichnet sich auch außerhalb Zentraleuropas ab. In Schweden vermehrt sich das Schwarzwild seit Mitte der 1990er Jahre nahezu explosionsartig. Auch in Norwegen und Dänemark, die allgemein als „schwarzwildfrei“ galten, steigen die Streckenzahlen kontinuierlich. Diese Situation zeigt sich auch in den Beneluxstaaten, in Belgien ist zudem ein anhaltender Anstieg bei der Rotwildstrecke festzustellen.

2. Wie erklären Sie den starken Anstieg der Jagdstrecken beim Schalenwild in Europa? Liegt es an der Jagdpolitik oder gibt es andere Ursachen?

Eine Verdreifachung der Jagdstrecke beim Schalenwild in Zentraleuropa innerhalb der vergangenen 40 Jahre zeigt: Die teilweise beobachtete Bestandsexplosion bei einzelnen Wildarten ist kein deutsches Phänomen und unabhängig von unterschiedlichsten Jagdgesetzgebungen und Zielstellungen in einzelnen Ländern. Die Ursachen sind komplexer. Allgemein gesprochen haben sich die Lebensgrundlagen für das Schalenwild verbessert – mehr Nahrung und mehr Deckung sind die Hauptfaktoren. Fehlende Witterungsextreme und energiereiche Nahrung, wie Raps und Mais in der Landwirtschaft sowie sich häufende Baummasten im Wald verringern die natürliche Sterblichkeit. Eine Erhöhung der Abschusszahlen ist die folgerichtige Konsequenz.

3. Gibt es bei Rot-, Reh- und Schwarzwild unterschiedliche Trends in Zentraleuropa? Was steckt dahinter?

Die Entwicklung der Schwarzwildbestände ist besorgniserregend. In fast allen zentraleuropäischen Ländern hat sich die Strecke in den letzten vierzig Jahren nahezu verzehnfacht. Zudem erobern die Schwarzkittel immer neue Gebiete, wie es in Dänemark, Norwegen und Schweden der Fall ist. Das hängt im Wesentlichen mit der Art der Agrarwirtschaft und der Entwicklung des Schwarzwildes zum Kulturfolger zusammen. Dadurch hat sich der Lebensraum nahezu verdreifacht. Ursprünglich besiedelte Schwarzwild nur zeitweilig landwirtschaftliche Flächen und Ortschaften überhaupt nicht. Das ist heute nicht mehr der Fall.

Beim Rot- und Rehwild erfolgten die stärksten Streckenanstiege bis Mitte der 1990er Jahre. Die Zunahme setzte sich zwar auch danach fort, sie ist dann aber deutlich geringer und teilweise mit größeren Streckenschwankungen verbunden. Im Gegensatz zum Schwarzwild deutet dieser Trend darauf hin, dass die Bejagung in Abhängigkeit der Zielstellung zunehmend besser den vorhandenen Verhältnissen angepasst wird. Dabei spielen offensichtlich die vorhandenen unterschiedlichen Jagdsysteme eine eher untergeordnete Rolle.

4. Haben die Vergleichsländer verstärkt mit Wildschäden zu tun?

Eine Übersicht über die Erfassung und die Entwicklung von Wildschäden, die zudem vergleichbar wär, ist nicht bekannt. Wildschäden werden vielfach gar nicht erfasst, sondern individuell ausgeglichen. Daher gibt es keinen genauen Überblick zu den Schäden in Feld und Wald. Allein in Deutschland gibt es zahlreiche länderspezifische Methoden und Wertungen, die eine Vergleichbarkeit momentan kaum ermöglichen.

Interessante Erkenntnisse im Zusammenhang mit Wildschäden im Wald liegen aus Polen vor. Obwohl dort eine deutliche Bestandszunahme beim Rehwild insbesondere ab 2001 erfolgte, waren die Schäden durch Wildverbiss in den regionalen Forstdirektionen bis 2008 rückläufig. Erst ab dem Jahr 2009 nahmen Verbissschäden drastisch zu. Diese werden aber nicht mit dem Rehwild, sondern ausschließlich mit einer ansteigenden Elchpopulationen in Zusammenhang gebracht.

5. Was bedeuten der Wandel in der Kulturlandschaft und die steigenden Jagdstrecken konkret?

Die Situation stellt eine Herausforderung für alle Länder dar. Sie setzt grundsätzlich eine enge Zusammenarbeit der Eigentümer, Landnutzer und Jäger voraus. Für viele Länder ist es zwingend notwendig, noch besser die vorhandenen Rahmenbedingungen zu nutzen. Dann sollte es auch perspektivisch möglich sein, ein weiteres Ansteigen der Wildbestände zu verhindern.

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