(Quelle: Kauer/DJV)

Mit Reh und Hirsch gegen Borreliose

3. Juni 2014 (djv) Berlin

Die Zecken-Experten Dr. Dania Richter und Professor Franz-Rainer Matuschka forschen seit rund 20 Jahren an Ixodes ricinus, dem Gemeinen Holzbock. Umgangssprachlich bekannt als Zecke, saugt der Parasit das Blut von Säugetieren, Vögeln und Eidechsen – und kann dabei Krankheitserreger übertragen. Die beiden Wissenschaftler haben unter anderem an der US-amerikanischen Harvard-Universität und an der Charité Berlin geforscht. „Berliner Zeitung“, „Welt am Sonntag“ und „Spiegel“ haben kürzlich ebenso über ihre Forschung berichtet wie die Wissenschaftssendung „Xenios“. Das Fazit der Wissenschaftler: Wiederkäuer wie Ziege, Schaf und Reh befreien Zecken von ihrer gefährlichen Borreliose-Fracht. Wie sich Jäger und andere Naturliebhaber vor Zeckenstichen schützen können und was das Reh mit dem amerikanischen Weißwedelhirsch gemeinsam hat, erläutern die Experten im DJV-Interview.

Mit einem hellen Leinentuch fangen die Wissenschaftler Zecken
Mit einem hellen Leinentuch fangen die Wissenschaftler Zecken (Quelle: Baden-Württemberg Stiftung/DJV)

DJV: Geschätzte 200.000 Menschen erkranken jährlich in Deutschland an Borreliose. Welche Rolle spielt dabei die Zecke, also der Gemeine Holzbock?

Dr. Richter: Über ganz Deutschland kann der Gemeine Holzbock mit den Erregern der Lyme-Borreliose infiziert sein. Die Infektionsraten variieren stark zwischen 5 und 50 Prozent, je nachdem welche Wirtstiere den Zecken für die Blutmahlzeiten zur Verfügung stehen. Weil Zeckenlarven diesen Erreger nicht von ihrer Mutter erben, sind sie noch nicht infiziert. Sie erwerben die Lyme-Borrelien, erst, wenn sie an einem infizierten Wirt Blut saugen. Das können Mäuse, Ratten oder Vögel sein. Nach der Häutung zur Nymphe kann die Zecke Borrelien während der nächsten Blutmahlzeit auf ihren Wirt, sei es Mensch oder Tier, übertragen. Da die Lyme-Borreliose durch Bakterien verursacht wird, lässt sich diese Erkrankung mit der Gabe eines Antibiotikums therapieren.

DJV: Welche Wirtstiere fördern die Borrelien? Und welche Rolle spielen Wiederkäuer?

Professor Matuschka: Manche Wirte der Zecke, wie Nagetiere oder Vögel, sind bekannt als Reservoir für die Erreger der Lyme-Borreliose. Saugt die Zecke als Larve oder Nymphe an einem infizierten Wirt, dann nimmt sie Borrelien auf und kann sie im nächsten Stadium auf den Menschen übertragen – auch nach einer weiteren Häutung zum Zeckenweibchen. Wir konnten in mehreren Untersuchungen zeigen, dass Zecken ihre gefährliche Fracht nicht an Wiederkäuer weitergeben können. Das gilt sowohl für Nutztiere wie Ziegen, Schafe und Rinder, als auch für Reh-, Rot-, Dam- und Muffelwild. Und besser noch: Infizierte Zecken, die an Wiederkäuern saugen, verlieren die Lyme-Borrelien während der Blutmahlzeit. Sie saugen sich voll, fallen vom Wirt ab, entwickeln sich zum nächsten Stadium und sind nicht mehr infektiös. Wir bezeichnen Wiederkäuer deshalb als zooprophylaktisch. Welche Substanz im Blut der Wiederkäuer während der Blutmahlzeit für diesen Effekt sorgt und die Lyme-Borrelien in der Zecke auslöscht, wissen wir bisher noch nicht. Grundsätzlich gilt: In Gebieten, in denen viele Wiederkäuer leben, stecken sich die Zecken also weniger häufig an. Die Wahrscheinlichkeit, dort einer infizierten Zecke zu begegnen, ist geringer. 

DJV: In Nordamerika wandert der Weißwedelhirsch nach Westen und bringt Zecken mit. Spielt das Reh eine ähnliche Rolle in Deutschland?

Professor Matuschka: Nein, die Situation im Nordosten der USA und Kanada ist auf die in Mitteleuropa nicht eins zu eins übertragbar. Zu unterschiedlich ist die Biologie der Protagonisten. Außerdem kennen Zecken in Nordamerika nur eine kleine Auswahl von Wirtstieren. Da die erwachsenen Zecken größere Wirte bevorzugen, stehen den Zeckenweibchen in Nordamerika vorwiegend Weißwedelhirsche als Blutquelle zur Verfügung, die sie brauchen, um Eier legen zu können. Die Verbreitung der Zecken dort wird deshalb gerne mit der Ausbreitung des Weißwedelhirschs nach Westen in Zusammenhang gebracht. Das hat historische Gründe. Ganz anders in Deutschland, denn hier sind die geeigneten Lebensräume bereits von Zecken besiedelt, es bedarf keiner Rehe, um die Zecken zu verbreiten. Und außerdem gibt es bei uns einige alternative Wirte für die Blutmahlzeit der Zeckenweibchen, Igel und Füchse sind nur Beispiele. Diese breitere Auswahl an potenziellen Wirten ermöglicht es unserem Gemeinen Holzbock auch, sich in Innenstädten zu etablieren, wo es überhaupt kein Rehwild gibt. Der Weißwedelhirsch ist übrigens wie alle bisher untersuchten Wiederkäuer als Reservoirwirt für die Erreger der Lyme-Borreliose ungeeignet. An ihm saugende infizierte Zecken verlieren die Lyme-Borrelien und sind dann im nächsten Entwicklungsstadium nicht mehr infektiös.

DJV: Müssen wir mehr Rehe jagen, um das Risiko von Lyme-Borreliose zu senken?

Professor Matuschka: Niemals, denn eine massive Reduktion der Rehe würde sofort das Risiko für die öffentliche Gesundheit erhöhen! Und zwar, weil unzählige Jugend-Stadien der Zecken, die sonst an Rehen saugen und keinen Erreger erwerben oder ihn sogar verlieren, wenn sie infiziert waren, jetzt an Wirten saugen müssten, die bekannt sind als Borrelien-Reservoir – etwa Nager und Vögel. Dadurch würde der Anteil infizierter Zecken drastisch steigen. Rehe wirken zweifach positiv, einmal lenken sie die Zecken davon ab, auf geeigneten infizierten Wirten zu saugen, und zweitens befreien sie infizierte Zecken, die an ihnen saugen, von ihrer infektiösen Fracht.

DJV: Ein Tipp für den unbeschwerten Aufenthalt in der freien Natur: Wo tauchen Zecken am ehesten auf?

Dr. Richter: An Stellen, die überwiegend trocken und warm sind, werden sich Zecken kaum auf Dauer halten, sie bevorzugen schattige Plätzchen wegen der dort vorhandenen höheren Luftfeuchtigkeit. Entsprechend ist dort, wo Wald und Wiese aneinandergrenzen – in den buschigen, krautigen Übergangszonen – das Risiko besonders hoch, Zecken einzusammeln. Wir haben bei unseren Untersuchungen herausgefunden, dass es auf Flächen, die extensiv beweidet werden, weniger Zecken gibt als auf solchen, die brach liegen. Und es kommt noch besser: Die Anzahl infizierter Zecken ist auf den von Wiederkäuern beweideten Flächen deutlich reduziert. Für einige Gebiete konnten wir zeigen, dass das Risiko, einer infizierten Zecke zu begegnen, über 50mal geringer ist als auf Brachflächen. 

Und wie kann ich mich als Jäger, Wanderer oder Pilzsammler ganz persönlich vor Borreliose schützen?

Dr. Richter: Egal ob Mittagspause im Park oder Rast beim Wandern: keinesfalls direkt auf dem Boden liegen oder sitzen! Dort hält sich in der Vegetation die für Zecken so nötige, hohe relative Luftfeuchte am längsten. Zecken lauern selten höher als einen Meter über dem Boden ihren Wirten auf. Sie fallen nicht von Bäumen oder Sträuchern, sie sind faul und lassen sich von der Vegetation abstreifen. Das bedeutet: Socken über die Hosenbeine ziehen oder Gummistiefel tragen macht es Zecken schwerer, an die Haut zu gelangen und eine Einstichstelle zu finden. Da die Erreger der Lyme-Borreliose einige Zeit brauchen, um aus dem Mitteldarm der Zecke über die Speicheldrüsen auf den Wirt übertragen werden zu können, hilft schnelles Entfernen. Infektionen im Zeitraum von 24 bis 36 Stunden nach Beginn der Blutmahlzeit sind extrem selten.

DJV: An Nagetieren wie Mäusen und Ratten können sich Zecken mit Borrelien anstecken ,und sie kommen in der Nähe des Menschen vor. Gibt es infizierte Zecken auch in Dörfern und Städten?

Professor Matuschka: Die Zersiedlung der Landschaft erhöht in menschlichen Siedlungen den Anteil von buschiger, krautiger Vegetation, wie wir sie von Waldrändern kennen. Das sind ideale Habitate, in denen der natürliche Borrelien-Zyklus stattfindet, weil Unterschlupf, Deckung, Nistmöglichkeit und Nahrung für kleine Säuger, Vögel und Rehwild, aber auch gute Überlebensbedingungen für Zecken zusammenkommen. Infizierte Zecken können also auch in Siedlungen Borrelien übertragen. Um das Risiko zu reduzieren, ist gerade für Schulen, Grill- und Spielplätze oder Parks ein konsequentes Müllmanagement wichtig. Also am besten verschlossene Abfallbehälter, die regelmäßig geleert werden. Denn damit gibt es weniger Mäuse, Ratten und Vögel, die als Reservoir von Borrelien gelten. Und damit auch weniger infizierte Zecken. Zudem sorgt regelmäßiges Mähen und Mulchen im Sommerhalbjahr für ein Mikroklima, das Zecken nicht mögen.

DJV: Ist Borreliose ein neues Phänomen oder altbekannt?

Dr. Richter: Die Lyme-Borreliose ist eine alte Infektion, die mit ihren verschiedenen Krankheitserscheinungen und in ihrem Übertragungsweg allerdings erst in den 1980er Jahren erkannt wurde. Schon Anfang des 20. Jahrhunderts fiel die sich ringförmig ausdehnende, innen verblassende Rötung einem schwedischen Arzt auf, der sie auch mit einem Zeckenstich in Verbindung brachte. In Zecken, die über hundert Jahre in Naturkunde-Museen gelagert waren, fanden wir DNA des Erregers. Und selbst bei Ötzi ließ sich ein Kontakt mit diesem Erreger nachweisen.

DJV: Welche Auswirkungen könnte der Klimawandel auf die Verbreitung von Zecken und Borreliose haben?

Professor Matuschka: Wärmere und trockenere Perioden wirken sich negativ auf den Gemeinen Holzbock, unsere heimische Zeckenart, aus. Die in unseren Breiten meist zweigipflige Aktivitätsperiode, im Frühjahr und im Herbst, wird wesentlich durch die Hitze und Trockenheit im Sommer bedingt. Dort, wo in mediterranen Gefilden diese Zecke auch vorkommt, ist ihre Aktivitätsphase auf die feuchte und kühlere Zeit des Jahres beschränkt. Je ausgedehnter die Sommerperioden sind, umso kürzer werden die der Zecken. Allerdings kann es durchaus sein, dass sich das Aktivitätsmuster dahingehend verschiebt, dass sie dann in den bei uns milderen Wintern früher aktiv werden. Eine solche Verschiebung bedeutet jedoch keine Zunahme der Zecken. Vermutlich eher das Gegenteil, und noch etwas: Dort, wo Rehwild zahlreicher vorkommt, werden die Zecken auch viel häufiger von parasitären Schlupfwespen befallen und so reduziert.

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